Das Corona-Schuljahr 2019/2020 war von vielfältigen Herausforderungen für alle Beteiligten gekennzeichnet. Die Erwartungen für das kommende Jahr sind, auch angesichts der nach wie vor nicht beseitigten Probleme, hoch kompliziert und werden spürbare Auswirkungen auf die niedersächsische Bildungslandschaft haben!“. So lautet die übereinstimmende Bewertung der Bildungsverbände im Niedersächsischen Beamtenbund und Tarifunion.
Im Rahmen eines Pressegespräches nahmen heute die fünf Landesvorsitzenden der Bildungsverbände, so der Philologenverband Niedersachsen (PHVN), der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL), der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der Verband für Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen in Niedersachsen (VLWN) und der Berufsschullehrerverband Niedersachsen (BLVN) zusammen mit dem Niedersächsischen Beamtenbund (NBB) zu aktuellen Bildungsfragen Stellung.
So hat die Pandemie vieles deutlich gemacht, insbesondere im Bildungssektor haben wir feststellen müssen, dass eine erheblich vernachlässigte Digitalisierung und eine bereits Jahren feststellbare unterfinanzierte Personalpolitik nunmehr ihre deutlichen Auswirkungen auf die Bildungslandschaft in Niedersachsen hinterlassen hat. Diese Auswirkungen haben sowohl die Lehrkräfte als auch die Schülerinnen und Schüler, sowie die Eltern deutlich spüren müssen.
Dabei gingen die Vertreter der Bildungsverbände insbesondere auf die aktuelle Situation der nach wie vor nicht absehbaren Entwicklung der Pandemie-Welle ein: Bei der Ausstattung der Schule, bei den Testmöglichkeiten, bei der Impfstoffbeschaffung und bei der digitalen Unterstützung ging alles viel zu langsam. So seien alle Schulen jetzt gezwungen, in all diesen Bereichen eine Aufholjagd starten, um unsere Schule pandemiefest zu machen und Corona-Jahrgänge zu verhindern.
Rückbetrachtend war und ist die Corona-Pandemie besonders für Kinder und Jugendliche ein Ausnahmezustand. So fehle die Schule als Lern- und Lebensraum. In dieser Situation muss es gelingen, den erlittenen Lernrückständen und den körperlichen und seelischen Pandemiefolgen entgegenzuwirken. Die Bereitstellung zusätzlicher Zeit-, Finanz- und Personalressourcen ist Voraussetzung für das Gelingen des Vorhabens. Alle drei Bereiche müssen im Einklang stehen.
Im Ausblick für das kommende Schuljahr fordern alle Beteiligten, dass so schnell wie möglich wieder regelmäßiger und verlässlicher Präsenzunterricht stattfinden kann und das nächste Schuljahr ein weitgehend normales Schuljahr wird. Dabei lauten die gemeinsamen Forderungen unter anderem:
Besondere Sorgen machen den Bildungsvertretern die zu erwartende deutlich erhöhte Schulabbrecherquote. So sei die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die im Homeoffice regelrecht abgetaucht sind, weitaus größer als sie in den Präsenzzeiten und im Regelunterricht jemals gewesen ist.
Diese Wahrnehmung in den Schulen zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten. Besonders betroffen sind Kinder mit Migrationshintergrund, bildungsbenachteiligte Schülerinnen und Schüler sowie Kinder, die in belasteten Familienverhältnissen leben.
Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung wird dabei in der mangelnden Digitalisierung, gerade auch im häuslichen Umfeld der Betroffenen, gesehen, die in der Zeit des Distanzlernens ganz besonders zum Tragen gekommen ist.
Insbesondere im Bereich der Berufsbildenden Schulen ist ferner zu erwarten, dass in den kommenden Jahren weniger Schülerinnen und Schüler für die duale Ausbildung zur Verfügung stehen. Dieser Umstand dürfte nachhaltige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben.
Das Thema Digitalisierung steht dabei in einem besonderen Fokus der Betrachtung. Bis heute gibt es nach übereinstimmender Auffassung keine Vision für eine digitale Schule, ja nicht mal einen groben Fahrplan, sondern viel Aktionismus und getriebenes Handeln. Es fehlt an schlüssigen Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten für Lehrende, an digitalen Lernangeboten und an einer schlüssigen E-Didaktik, die Technik und Pädagogik vereint.
Neben all diesen Themen sorgen sich die Experten der Bildungsverbände insbesondere um den weiterhin bestehenden Sanierungsstau in niedersächsischen Schulen. So fehle es an notwendigen Ausgaben, die unsere Gesellschaft pandemie- und zukunftsfest machen. Dazu gehört in erster Linie die Finanzierung des Bildungswesens. Bildung nützt, weil sie Voraussetzung für ökonomische Teilhabe ist, und sie schützt, weil sie demokratische und ethische Werte sichert. Investitionen in unsere Kinder sind deshalb immer lohnende Investitionen!
Dabei fordern alle Vertreter der Bildungsverbände übereinstimmend, auch mit Blick auf die derzeitigen Haushaltsberatungen der Landesregierung, nachhaltige Investitionen im Personalhaushalt.
Nach einhelliger Auffassung schlägt allein ein verbesserter Personalschlüssel in den Schulen – kleinere Klassen und eine Unterrichtsversorgung, die deutlich über 100 Prozent liegt, idealerweise bei 110 Prozent –mit mehreren hundert Millionen zu Buche. Gebraucht wird zusätzlich mehr Assistenzpersonal für Betreuungsaufgaben, für Inklusion und Integration, für Arbeits- und Gesundheitsschutz und Wartung der schulischen Infrastruktur.
Insgesamt müssen langfristig mehr Bewerberinnen und Bewerber für das Lehramt gefunden, mehr Ausbildungsplätze und bessere Rahmenbedingungen bereit gestellt und kurzfristig insbesondere zusätzliches pädagogisches Personal, z.B. Lehramtsstudierende, pensionierte Lehrkräfte - Teilzeitlehrkräfte - pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Nutzung des Ganztags für Zusatzangebote Förderangebote durch außerschulische Einrichtungen, so beispielsweise einen Ausbau des "LernRäume-Programms" realisiert werden
Für das in wenigen Wochen beginnende neue Schuljahr fordern der NBB und seine Bildungsverbände nun schnell und zielgerichtet zu reagieren und nicht noch weiter Zeit verstreichen zu lassen.
So muss nach fester Überzeugung nunmehr für die Unterstützung finanzschwacher Schulträger von Bund und Land umgehend ein Unterstützungsfonds aufgelegt werden, damit annähernd gleiche Lern- bzw. Bildungsverhältnisse hergestellt werden können.
Überdies kann das Aktionsprogramm "Aufholen nach Corona" ein erster wichtiger Baustein zur Aufarbeitung pandemiebedingter Lernzeitverluste, zur Reduzierung von Bildungsbenachteiligung und zum Ausgleich psychosozialer Folgen sein. Voraussetzung ist der konsequente Einsatz der Faktoren Zeit, Finanzen und Personal. Die Politik ist am Zug.